Sehen ist mehr als ein Blick
Category : Conceptions
Wir gehen durch die Welt und sehen. Doch so, wie wir sehen, übersehen wir. Das eine tritt in den Vordergrund, das andere verschwindet in den Randbereichen unserer Wahrnehmung – bis wir nicht mehr unterscheiden können, was wirklich da ist und was unser Blick aussortiert.
Sehen ist kein neutraler Vorgang. Es ist eine Wahl. Eine Entscheidung, bewusst oder unbewusst. Wir fokussieren, filtern, überblenden. Mit der Kamera verstärkt sich dieser Prozess. Ein Bild zeigt nicht einfach, es formt, es lenkt, es macht sichtbar – und damit auch unsichtbar.
Fotografie ist für mich nie nur das Festhalten eines Moments gewesen. Sie war immer eine Art des Denkens. Am Anfang direkt, fest, dokumentierend. Später fragender, suchender, tastender. Die Frage ist nicht mehr: *Was zeigt ein Bild?* Sondern: Was bleibt verborgen? Und warum?
Denn das, was ein Bild offenbart, ist oft nur ein Ausschnitt eines größeren Zusammenhangs. Ein Gebäude ohne seinen Bewohner, eine Bewegung, die nicht zu Ende geführt wird. Ein Blick, der nicht ganz trifft. Leerstellen entstehen, nicht als Mangel, sondern als Raum für das, was sich nicht unmittelbar zeigt.
Mit der Zeit wurde das Sehen bewusster, komplexer. Es ging nicht mehr darum, die Welt zu ordnen, sondern sie durch das Bild hindurch neu zu denken. Es gibt keine reine Dokumentation. Jedes Bild ist eine Konstruktion, ein Standpunkt, eine Verhandlung zwischen dem, was sichtbar ist, und dem, was sich entzieht.
Ein gutes Bild hält nichts fest. Es macht etwas auf.
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