Wie sehe ich
Wie ich sehe - Ein Essay über generative Fotografie, Projektion und das fragmentarische Selbst
Ich arbeite nicht mit Bildern, ich arbeite mit Wahrnehmung. Die generative Fotografie erlaubt mir, Fragen zu stellen, statt Antworten zu geben: Nicht was ich sehe, sondern wie ich sehe. Jedes Bild ist ein Fragment, eine Ahnung, ein Nachbild. Ich vertraue der Oberfläche, weil sie Tiefe enthält. Ich glaube an das Unausgesprochene – und an den Blick, der nicht kontrolliert, sondern empfängt. Mich interessiert nicht das Offensichtliche, sondern das, was sich dem Zugriff entzieht. Nicht aus Flucht, sondern aus Respekt.
Ich habe nicht mit dem Wunsch begonnen, Bilder zu machen.
Ich habe mit einer Frage begonnen: Wie sehe ich eigentlich?
Nicht: Was will ich zeigen?
Nicht: Was ist schön?
Sondern: Was wird sichtbar – und warum gerade das?
Diese Frage hat sich nie beruhigt. Sie hat sich verlagert, vertieft, vervielfacht. In meiner Arbeit mit generativer Fotografie geht es nicht darum, neue Realitäten zu erschaffen, sondern um eine andere Art, Wirklichkeit zu befragen.
Die Technik steht dabei nicht im Mittelpunkt. Sie ist eher ein Raum – ein Spiegel, ein Echo, ein Labor. Ein Ort, an dem Projektionen, Erinnerungen und Konstruktionen sichtbar werden können.
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Die Oberfläche als Tiefe
Generative Fotografie hilft mir, nicht nur das Sichtbare zu gestalten – sondern auch das, was sich dem Sehen entzieht. Nicht mit Effekten oder Spektakel. Sondern durch Verdichtung. Was wie Oberfläche aussieht, wird zur Tiefe – wenn man hinschaut.
Wirklich hinschaut.
Ein Gesicht, das zu lange in die Kamera blickt.
Ein leerer Raum, der voller Geschichte ist.
Ein Körper, der da ist – und sich doch entzieht.
In solchen Momenten beginnt das Sehen nicht im Auge. Sondern in der Stille dazwischen.
Fragment statt Ganzes
Ich habe nie an das vollständige Bild geglaubt. Meine Essays – visuell und sprachlich – sind Fragmente. Nicht aus Unentschlossenheit, sondern aus Achtung vor dem, was sich nicht festhalten lässt. Ob in Marisol, Another Country oder Shaping Perception – immer geht es um eine Bewegung, nicht um eine Aussage. Ich will nicht definieren, was etwas ist. Ich will erspüren, wie es erscheint, wenn man sich dem Sehen überlässt.
Die Kamera als Haltung
Die Kamera ist für mich kein Werkzeug. In der generativen Arbeit ist sie oft nicht einmal sichtbar. Für mich ist sie ein Blick. Eine Haltung. Ein Versuch, mich selbst beim Sehen zu erkennen. Nicht als Beobachter – sondern als Teil dessen, was gesehen wird.
Dieser Blick ist nicht neutral. Er ist persönlich. Er ist geprägt von Geschichte, Erinnerung, Scham, Macht, Nähe, Angst. Er ist nicht objektiv – aber er ist bewusst. Und manchmal ist er genau dann am klarsten, wenn er sich selbst misstraut.
Der Wandel
Am Anfang stand das Staunen: dass ein Bild entstehen kann, das ich nicht gemacht habe – und das mich trotzdem meint. Heute weiß ich: Dieses Staunen war der Anfang eines langen Weges. Ein Weg weg vom Was und hin zum Wie.
Was sehe ich? ist eine Frage an das Motiv.
Wie sehe ich? ist eine Frage an mich selbst.
Diese Unterscheidung ist nicht semantisch. Sie ist ethisch. Denn im Wie liegt Verantwortung. Und im Wie liegt auch Freiheit – die Freiheit, etwas offen zu lassen. Die generative Fotografie hat mir nicht beigebracht, besser zu sehen. Sie hat mir gezeigt, woher mein Sehen kommt. Und vielleicht ist das der eigentliche Gewinn: Dass ich mich nicht mehr frage, ob ein Bild „richtig“ ist.
Sondern ob es ehrlich ist.
´Joerg Alexander / Berlin / Mittwoch, 09.04.25
Essays
Part 1: Räume des Inneren – Der Blick nach innen
• Marisol’s Gaze
Ein Blick in den Zwischenraum – dorthin, wo Bedeutung entsteht, bevor sie Sprache wird.
• Marisol
Hoffnung und Verlust als zwei Bewegungen derselben inneren Landschaft – das Unsichtbare formt das Bild.
• Raven
Erinnerung als flüchtiges Echo – ein Essay über das, was nicht zurückkehrt, aber bleibt.
• In the Void
Die Leere als Raum der Möglichkeit – ein stilles Sehen jenseits von Form und Gewissheit.
• Precarious Self
Identität im Übergang – jeder Moment ein instabiles Gleichgewicht zwischen Sein und Werden.
• Traces of Light
Scham, Licht, Körper – Spuren, die bleiben, auch wenn alles gesagt ist.
Part 2: Der politische Körper – Weiblichkeit, Projektion und kulturelle Zuschreibungen
• Silent Rebellion
Der weibliche Körper als Ort stiller Verweigerung – Machismo begegnet dem Blick, der nicht mehr schweigt.
• Lolita
Kindlichkeit, Sexualisierung, Kontrolle – ein kritischer Blick auf kulturell kodiertes Begehren.
• Salome
Weiblichkeit als Gefahr – die Figur wird zur Projektionsfläche für Angst, Lust und Macht.
• African Bride
Tradition, Exotik, Haut – ein Essay über koloniale Codes im Bild der Frau.
• Cuban Youth
Frühe Rollenbilder, Begehren und Identität – ein zarter Blick auf Intimität unter Zwang.
Part 3: Identität als Maske – Spiel, Übertreibung, Performance
• Exaggerated
Übertreibung als Selbstschutz – Identität wird hier zur performativen Geste.
• Harlequins
Masken zwischen Tragik und Spiel – das Ich als wandelbares Bild seiner selbst.
• Studio 54
Exzess als Ausdruck einer flüchtigen Identität – alles ist erlaubt, solange es sichtbar bleibt.
• Colors of Becoming
Das Ich in Bewegung – Farben und Formen als Ausdruck innerer Übergänge.
• Plus Proche
Nähe als Illusion – was sich zeigt, bleibt doch unzugänglich.
• First Crush
Zärtlichkeit und Projektion – der erste Blick auf den anderen als Spiegel des eigenen Werdens.
Part 4: Räume der Erinnerung – Vergänglichkeit, Spuren, Archive
• Another Country
Erinnerung als Atmosphäre – Spuren einer Zeit, die fremd bleibt und doch vertraut wirkt.
• Another Country II
Spiegelung und Wiederholung – ein visuelles Echo auf das, was gewesen sein könnte.
• ROMA
Architektur als Speicher kollektiver Geschichte – ein Ort, der spricht, ohne zu erzählen.
• Prends-moi
Nähe, Begehren, Erinnerung – der Körper als Nachbild eines vergangenen Gefühls.
Part 5: Wahrnehmung und Wirklichkeit – Ethik des Sehens
• Shaping Perception
Ein Essay über die Konstruktion von Sichtbarkeit, über dominante Narrative und die Frage: Wer hat das Recht, zu zeigen?
• Pursuit of Happiness
Zwischen Stoizismus und Gegenwart – ein Nachdenken über Freiheit in einer fremdgesteuerten Welt.
• In Times of no Solace
Mitgefühl als radikale Geste – Sehen, wo andere wegschauen.
• Defying Gravity
Die unbeholfene Bewegung des Selbst – Identität als Versuch, sich dem Sog zu entziehen.
• No Man’s Journey
Das ungesehene Leben – ein Essay über das Verschwinden in der medialen Leerstelle.
• Cooling Earth
Bildpolitik des Klimas – Übertreibung und Realität im Spannungsfeld von Relevanz und Reiz.
• Portraits Nucleare
Gesichter nach der Katastrophe – nicht als Opferbilder, sondern als stille Träger einer nicht sichtbaren Gewalt.
• Blooming Illusions
Schönheit, die nicht existiert – ein Spiel mit Sehnsucht, Schein und der Frage, was ein Bild verspricht.